„Wanderkolleg im Heiligen Land“

Studienreise nach Israel mit Pfarrerin Ilona Klaus

Foto: Ausgrabungen in Kapernaum – vorne links liegt der Mühlstein

 

„Noch immer bewegen mich die Bilder dieser Reise bis in meine Träume hinein. „Was ist denn das Besondere an diesem Land?“ fragte eine Freundin. Eine gute Frage. Was machte eigentlich eine Reise nach Israel so eindrücklich wie kaum eine andere?

„Auf den Spuren Jesu“ hieß unsere 10-tägige Studienreise von Ende April bis Anfang Mai, die als „Wanderkolleg im Heiligen Land“ ausgeschrieben war. Gewandert sind wir im doppelten Sinn: die Stationen der Reise folgten dem Lebensweg Jesu, wie er in den biblischen Überlieferungen geschildert wird, sodass die Reise in Bethlehem begann und in Jerusalem, dem Ort seines Todes und seiner Auferstehung, endete. Aber wo immer es möglich war, zogen wir tatsächlich die Wanderschuhe an und gingen die gleichen Wege, die Jesus vor rund 2000 Jahren auch gegangen sein musste.

An einem Tag wanderten wir kurz hinter Nazareth los in Richtung des Sees Genezareth. Wir gingen durch ein fruchtbares Tal mit sattem Gras und wunderschönen Wiesenblumen. Da es nur diesen einen Weg von Nazareth zum See Genezareth gibt, gab es keinen Zweifel: wir folgten Jesu Spuren. An einem anderen Tag wanderten wir durch die Wüste bis kurz vor die Tore Jerusalems. Auch diesen Weg, den wir aufgrund der erwarteten Hitze schon vor Sonnenaufgang antraten, musste Jesus gekannt haben. Mir war plötzlich, als könnte ich Jesus dort sehen auf einem Berg mitten in der Wüste, wo er 40 Tage und Nächte verweilte und tapfer den Versuchungen des Teufels standhielt.

Als wir den Ölberg hinab gingen, bekam ich eine Ahnung, wie der Garten Gethsemane damals ausgesehen haben könnte mit all den Feigenbäumen und bunten Disteln am Wegesrand – und vor mir tauchten plötzlich die Soldaten auf, die Jesus gefangen nehmen wollten. Vertraute biblische Erzählungen wurden durch wirkliche Bilder ergänzt und wurden auf neue Weise lebendig. Das zählt sicher zu den Besonderheiten einer Reise ins „Heilige Land“.

Wir besuchten auch einige Ausgrabungsstätten: eindrücklich war z. B. Kapernaum am Ufer des Sees Genezareth. Ich konnte mir nun besser vorstellen, wie die Dörfer damals ausgesehen haben mussten mit den kleinen Häusern und schmalen Zuwegen. Die Geschichte von der Heilung des Gelähmten fiel mir ein: mit einer Bahre wurde er durch das Dach zu Jesus hinuntergelassen. Sieht man die engen Gassen in Kapernaum vor sich, dann wird einem bewusst, warum die Menschen den Weg über das Dach wählten.

Ein anderes Beispiel: ich sah zum ersten Mal einen Mühlstein und erinnerte mich an einen Satz von Jesus, der in drei Evangelien zitiert wird: „Wer aber einen dieser Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, dass ein Mühlstein um seinen Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist.“   (z. B. Mt. 18,6) Ein drastisches Bild, was noch drastischer wird, wenn man tatsächlich den schweren Mühlstein vor Augen hat! So erwachten immer wieder biblische Verse und Erzählungen zu neuem Leben. Seit der Reise lese ich anders in der Bibel: mit neuen Augen.

Zu einer Reise ins Heilige Land gehört auch, sich die heiligen Stätten anzusehen: die Geburtskirche in Bethlehem oder die Kirche in Kana, wo Wasser in Wein verwandelt wurde. Auch die großartige Verkündigungskirche in Nazareth, wo der Engel Gabriel Maria die Geburt eines besonderen Kindes verkündigte, besuchten wir und natürlich auch die sehr besondere Grabeskirche in Jerusalem. Faszinierend waren diese Stätten nicht nur wegen ihrer großen symbolischen Kraft oder wegen ihrer teilweise großartigen Architektur und Ausstattung, sondern auch wegen der vielen Menschen aus der ganzen Welt, die sich der Anziehungskraft dieser Orte nicht entziehen konnten. Ich sah Menschen, die völlig ergriffen und verzückt waren, be-geist-ert im wahrsten Sinne des Wortes. Sie warfen sich zu Boden, küssten heilige Orte und Gegenstände, weinten oder fielen sich gegenseitig vor Freude um den Hals. Andere verharrten still und ehrfürchtig in diesen heiligen Räumen. Wie nur zuvor wurde mir bewusst, wie bunt und vielgestaltig sich die Christenheit in ihrer Geschichte entwickelt hat und wie unterschiedlich die Menschen ihren Glauben zum Ausdruck bringen. Man begegnete Menschen aus der griechisch-orthodoxen Kirche, den vielen orientalisch-orthodoxen Kirchen, der römisch-katholischen wie protestantischen Kirche… - um nur einige der großen Strömungen zu nennen. Nebenbei wurde mir bewusst, wie jung der Protestantismus ist und auch er genauso kulturell geprägt ist wie andere christliche Glaubensrichtungen.

Dann kamen wir nach Jerusalem, dieser heiligen Stadt – nicht nur für Christenmenschen. In dieser Stadt verdichten sich die heiligen Stätten des Judentums, Christentums und des Islam wie sonst nirgendwo auf der Welt. 1204 Synagogen, 158 Kirchen und 73 Moscheen soll es im Stadtgebiet geben. Auf Schritt und Tritt begegnet man gläubigen Menschen, die jeweils ihre heiligen Orte aufsuchen. Diese Vielfalt der Menschen, nicht nur an den „heiligen Orten“, auch in den Gassen und auf Plätzen der Stadt, in den Souks wie in den gut gefüllten Cafés, hat mich fasziniert. Stundenlang hätte ich die Menschen betrachten können: diese Verschiedenheit und Buntheit in ihrem Auftreten, in ihrer Kleidung mit all ihren unterschiedlichen Sprachen. Sehr deutlich wurde mir bewusst, wie eng meine kleine Welt ist, in der ich mich meistens bewege.

Wie begrenzt meine Sicht ist, wurde mir auch bewusst im Blick auf den Konflikt zwischen den Palästinensern und dem Staat Israel. Schon die ersten Eindrücke der Reise machten deutlich, dass es diesen Konflikt gibt und die Menschen mit diesem Konflikt umgehen müssen. Wir Reisenden merkten aber auch, wie wenig wir darum wissen. Wir hatten Begegnungen mit Menschen, die uns je ihre Sicht schilderten. Uns wurde immer deutlicher: dieser Konflikt ist so vielschichtig, so komplex, dass jedes Urteil immer nur ein Teil der Wahrheit sein kann.

Mich persönlich tröstete, dass all unsere Gesprächspartnerinnen und -partner übereinstimmend den Wunsch äußerten: in einem heiligen Land wohnen zu wollen, in dem die Menschen in Frieden leben und beten können. Ein schönes Zeichen dafür war die Beflaggung in ganz Jerusalem. Wir waren in einer Zeit in Jerusalem, in der die drei großen Religionen gerade ihre wichtigsten Feste gefeiert hatten bzw. noch immer feierten: Pessach, Ramadan und Ostern. Überall in der Stadt hingen Flaggen, auf denen in unterschiedlichen Sprachen den jeweiligen Religionsgemeinschaften schöne Festtage gewünscht wurde. Das gibt es in Jerusalem auch: den Wunsch und die Sehnsucht trotz aller Verschiedenheit zu einem friedlichen und ausgelassenen Miteinander.

Was macht eine Reise nach Israel so eindrücklich? Für mich war es die Vielfalt der Menschen und die Fülle der Bilder und Themen, die viele Schichten meines Denkens, meines Fühlens und nicht zuletzt meines Glaubens berührten.“

Ilona Klaus