Hospiz-Pfarrer Ulrich Radke feiert am 1.8. sein 40. Dienstjubiläum

Erstellt am 31.07.2020

"Ich war und bin einer, der aufbaut."

Oer-Erkenschwick. Der 1. August 2020 ist ein besonderes Datum im Leben von Pfarrer Ulrich Radke: Seit 40 Jahren nämlich ist er im Dienst der Evangelischen Kirche. Und die letzten 20 Jahre  davon widmete sich der Geistliche mit viel Leidenschaft und Engagement der Hospizarbeit im ambulanten wie auch im stationären Bereich.

Bis zu seiner Pensionierung am 3. Oktober im nächsten Jahr hat der 64jährige noch einiges im Hospizdienst vor. Und auch danach wird er sich wohl kaum einfach zur Ruhe setzen. Ein schöner Anlass also, um einen freundlichen Blick auf seine besonderen Gaben zu werfen und die unterschiedlichen beruflichen Stationen des Geistlichen zu würdigen.

„Eigentlich wollte ich, als ich 18 Jahre alt war, Berufs-Diplomat werden“, beginnt der Jubilar das Interview in den Räumen der Stimberger Zeitung. „Ich hatte mich damals sogar beim Auswärtigen Amt beworben. Aber ich wurde damals abgelehnt, weil ich nach Auffassung der Behördenvertreter nicht ausreichend kommunikativ war“, erinnert sich der Radke mit einem Lächeln.

Nach dieser Absage nahm er das Studium der Theologie und Religionspädagogik an der Evangelischen Fachhochschule in Bochum auf, gefolgt von einem Prediger-Aufbaustudium in Düsseldorf, während dessen er Religion an zwei Bottroper Grundschulen und einer Privatschule unterrichtete. 

Die westfälische Landeskirche nahm Radke zum 1. August 1980 mit der Dienstbezeichnung „Predigervikar“ in ihren Dienst. Sein Gemeindevikariat absolvierte Radke in der evangelischen Kirchengemeinde Bottrop-Batenbrock mit Schwerpunkt Gemeindejugendarbeit und Kindergottesdienst. 

Nach einigen kleineren Einsätzen nahm Radke seinen Dienst als „Pastor im Hilfsdienst“ in der evangelischen Kirchengemeinde Dorsten auf. Dort wurde er durch Superintendent Helmut Disselbeck ordiniert.

Eine weitere berufliche Station war die Vakanzvertretung für das Fach Religion an den Städtischen Berufsschulen Bad-Berleburg im Kirchenkreis Wittgenstein. 

Einer der markantesten Punkte seiner beruflichen Entwicklung war wohl seine anschließende Berufung zum Landesjugendreferenten bei der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. des Landesverbandes NRW gewesen sein. Eine ganze Dekade lang (1987 - 1997) widmete sich Radke dem Aufbau der Jugendorganisation - mit überaus großem Erfolg. Teils unter widrigen Bedingungen, gelang es ihm in dieser Zeit, ausgehend von einer Gruppe von zwei Dutzend Engagierten eine riesige Schar von  Personen für die Ausbildung zum ehrenamtlichen Dienst am Nächsten zu mobilisieren. Heute zählt die Johanniter-Jugend  tausende von Mitgliedern und gehört somit zu den größten Jugendorganisationen. 

Nach Abschluss dieser beruflichen Tätigkeit ließ sich Radke zum Sanitätshelfer ausbillden und war ab dem Jahre 2000 über 17 Jahre lang ehrenamtlich als Ortbeauftragter für die Stadt Borken sowie in der Regionalverbandsleitung tätig. Zum Abschluss seiner Tätigkeit zeichnete ihn die Organisation für seine außerordentlichen Leistungen mit der höchsten Ehrung der christlichen Hilfsorganisation, der „Ehrennadel am Bande des Johanniterordens“, aus. 

In diese Zeit fielen auch fast zehn Jahre währende Hilfstransporte nach Polen und zahlreiche Jugendaustauschprogramme mit Polen und Estland, für die Radke mit dem polnischen Verdienstorden der Woiwodschaft Schlonsk (Schlesien) gewürdigt wurde.

Noch während der letzten zwei Jahre dieser Tätigkeit bereitete sich Radke auf das „Sonderexamen zur Erlangung der Anstellungsfähigkeit als Pfarrer“ vor. Und er heiratete seine Frau Mariola - nicht ganz zufällig in Jerusalem, getraut vom damaligen Probst von Jerusalem, Karl-Heinz Ronecker.

Zeitgleich mit seiner Ernennung zum Pfarrer (damals: „im Entsendungsdienst“) durch das Landeskirchenamt startete Radke einen dreijährigen Dienst beim Diakonischen Werk im Evangelischen Kirchenkreis Unna als Mitarbeiter im Beratungszentrum. Berufsbegleitend absolvierte er hier eine zweijährige pastoralpsychologische Fortbildung. 

Kurz vor der Geburt seiner ersten Tochter Hannah nahm Radke einen neuen Aufgabenbereich in der evangelischen Kirchengemeinde Borken im Kirchenkreis Steinfurt-Coesfeld-Borken wahr, dem später seine ganze berufliche Leidenschaft gelten sollte: die Leitung der Hospizgruppe in Borken-Gemen-Oeding und der dann von ihm neu gegründeten Hospizgruppe Gescher sowie Rhede. 

Zwei Jahre nach der Geburt seiner zweiten Tochter Mira wurde Radke als erster - und bis heute als einziger - Hospizkoordinator durch die westfälische Landeskirche berufen. Zuvor hatte Radke eine dafür als notwendig vorausgesetzte Zusatzqualifikation erworben: die Palliativ-Care-Ausbildung, durch die er in die Lage versetzt wurde, die Art, den Umfang und die Sicherung der Qualität einer ambulanten Hospizversorgung zu gewährleisten - wichtig auch für die Ausbildung ehrenamtlich tätiger Mitarbeitender. Seine sechs Jahre später erworbene pädiatrische Palliative-Care-Ausbildung qualifiziert Radke zusätzlich für die Leitung eines Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienstes. Diesen zusätzlichen Dienst baute er für die Region Borken ab dem Jahre 2005 auf.

Neun Jahre lang leitete Radke den Ambulanten Hospizdienst im flächenmäßig größten Kirchenkreis der Westfälischen Landeskirche und erwarb sich hier einen reichen Erfahrungsschatz. Viel zu viel Zeit allerdings blieb auf den Wegstrecken zwischen den Einsatzorten. Als sich im Sommer 2014 die Möglichkeit auftat, im evangelischen Kirchenkreis Recklinghausen die Ambulante Hospizarbeit aufzubauen und zu koordinieren, zögerte er nicht lange. 

Bereits zwei Jahre später konnte Radke in Oer-Erkenschwick, der kleinsten Kirchengemeinde des evangelischen Kirchenkreises, einen neuen Ambulanten Hospizdienst in Trägerschaft von Kirchenkreis und Diakonie gründen. Mit anfänglich 26, bis heute immer noch 23 ehrenamtlichen Mitarbeitenden und in enger und erfolgreicher Zusammenarbeit mit der Schirmherrschaft-Ehepaar Anne Althoff-von Roëll und Wichart von Roëll.

Nicht nur für die Stadt Oer-Erkenschwick, auch für die ganze Region von Bedeutung war und ist es bis heute, dass die Begleitung Sterbender durch ehren- und hauptamtliche Seelsorgende keine Selbstverständlichkeit, sondern eine unverzichtbare Hilfeleistung ist, die elementar zu einer Kultur der Mit-Menschlichkeit gehört. Und das nicht erst seit dem Jahr 2000, als die Ambulante Hospizarbeit mit § 39 SGB gesetzlich eine ausreichende Grundlage erhielt. 

Dass Radkes Team im Juni 2018 der Sonderpreis des Ehrenamtspreises der Stadt Oer-Erkenschwick verliehen wurde, ist daher kein Zufall. Und wie die „Hospizinszenierung“ Anfang Februar dieses Jahres mit ihrer künstlerischen Revue in der bis auf den letzten Platz besetzten Stadthalle gezeigt hat, ist es eine bleibend wichtige Aufgabe, sich mit dem Sterben schon zu Lebzeiten in geeigneter Weise auseinanderzusetzen - oder eben ein Fehler, es nicht zu tun, wie Franz Müntefering als Ehrengast es aus eigener Erfahrung bezeugte.

Dies immer wieder ins allgemeine Bewusstsein zu bringen, speziell auch ins Bewusstsein der Kirchen, könnte die vielleicht aufreibendste Aufgabe gewesen sein, vor die sich Radke und sein Team in den verschiedenen Stationen seiner Tätigkeit im evangelischen Kirchenkreis Recklinghausen gestellt sah. „Ich war und bin einer, der aufbaut.“ 

„Aber wer kann meine Arbeit weiterführen?“, fragt er bekümmert. Bis heute, so klagt er im Interview, sei es leider noch nicht im Bewusstsein verankert, dass Ambulante Hospizarbeit notwendigerweise eine geistliche Leitungsaufgabe sei, die selbstverständlich erhebliche Anforderungen auch an die Präsenz in der Öffentlichkeit stelle. Seine Hoffnung, eine*n geistliche Nachfolger*in für seine Tätigkeit zu finden, bevor er in Pension geht, schwindet. Sollte er wirklich der erste und zugleich der letzte pfarramtliche Hospizkoordinator in der Westfälischen Landeskirche gewesen sein? GH (Foto: Gert Hofmann)